Die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche - historisch betrachtet
1. Die Geschichte
Im Jahr 1797 besteigt Friedrich Wilhelm III. den preußischen Thron. Er ist durchaus ein frommer Mann,
welcher der Aufklärung kritisch gegenüber steht. Er möchte in seinem Königreich die lutherische
Landeskirche mit der reformierten Tradition des Königshofes zu einer neuen evangelischen Unionskirche
vereinigen. Schon längere Zeit verfolgt das Herrscherhaus der Hohenzollern diese Absicht, die aber bisher
gescheitert war. Durch das Zeitalter der Aufklärung aber sind die Bekenntnisunterschiede zwischen der
Lutherischen Kirche und der reformierten Tradition zusehends in Vergessenheit geraten.
I. Schon 1798 stand der kirchliche Neubau zu einer Unionskirche dem Herrscher vor Augen.
Im Jahre 1808 werden die getrennten lutherischen und reformierten Kirchenbehörden vereinigt. Somit
besitzt die lutherische Kirche kein selbständiges Kirchenregiment mehr. Ein Jahr später müssen die
lutherischen und reformierten Kandidaten der Theologie vor ein und derselben Prüfungskommission ihre
Examina ablegen. 1813 werden Bekenntnisverpflichtungen der Geistlichen allein auf die
Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche aufgehoben.
Am 27. September 1817 wird durch königliche Kabinettsorder die neue evangelisch christliche Kirche ins
Leben gerufen. Ein neuer Kirchentypus ist entstanden - die prostestantische Unionskirche. Die
Reformierten Überzeugungen sollten gleichermaßen, wie die lutherischen Bekenntnisschriften gelten. Alle
Richtungen sollen sich in neuen Verlautbarungen und Bekenntnistexten wiederfinden können.
Am 27. September 1817 feiert König Friedrich Wilhelm III. von Preußen einen gemeinsamen
Abendmahlsgottesdienst mit Reformierten und Lutheranern in der Garnisonkirche Potsdam. In zahlreichen
anderen Orten, wo Reformierte Lutheraner nebeneinanderlagen, wurden ebenfalls gemeinsame
Abendmahlsgottesdienste gefeiert. Ab 1820 beginnt der König eine für alle evangelischen Konfessionen
verbindliche Agende in Preußen zu entwickeln und in seinem Land einzuführen. Hiergegen erhebt sich
Widerstand bei lutherischen Gemeinden und Pfarrern. 1824 wird die unierte Agende erneut vorgelegt, die
aber von einigen Pfarrern weiterhin abgelehnt wurde. Der Hauptwurf ist, dass diese Agende nicht lutherisch
sei und darum auch in einer lutherischen Kirche nicht in Geltung sein könne. Nochmals wird die Agende
überarbeitet und mit Provinzialanhängen versehen. Die meisten Agenden werden 1829 herausgegeben.
Feierlich soll sie nun landesweit am Gedenktag des Augsburgischen Bekenntnisses, den 25. Juni 1830, in
Gebrauch genommen werden.
II. Die Verfolgung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Preußen
Friedlicher Widerstand gegen die neue Unionskirche entsteht zunächst in Breslau. An der Evangelisch-
Lutherischen Elisabethkirche ist der Universitätsprofessor für Theologie Johann Gottfried Scheibel als
Diakonus - Pfarrer - tätig. Schon 1817 wendet er sich gegen die Union und die neue Agende. Als aber 1830
auch in der Elisabethkirche die neue Unionsagende eingeführt werden soll, weigert er sich nach diesem
neuen Ritus den Gottesdienst zu feiern. Hierauf wird er Amtsenthoben. Der weitaus größte Teil tritt der
Union bei, während sich zunächst nur eine kleine Gruppe um den Theologieprofessor und Pfarrer an der
St. Elisabeth-Kirche, Johann Gottfried Scheibel, zur lutherischen Kirche halten. Jedoch wächst die Gruppe
um Scheibel in Breslau und Umgebung bis Ende 1830 auf 2000 Gemeindeglieder. Neben Scheibel sind
auch der Juraprofessor Eduard Huschke und der Naturwissenschaftler Prof. Steffens, die als führende
Köpfe der Lutherischen Kirche dienen. Das Recht auf freie Religionsausübung, Meinungs- und
Versammlungsfreiheit wollte man staatlicherseits den Lutheranern nicht zugestehen.
Die erste Bittschrift richten diese Lutheraner an König Friedrich Wilhelm III. am 27. Juni 1830 - also zwei
Tage nach der offiziellen Einführung der Unionsagende. In monatlichen Abständen richten sie diese
Bittschriften an ihn mit der Bitte, um eine selbständige lutherische Kirche, selbständiger lutherischer
Verfassung und selbständiger lutherischer Kirchenleitung:
"Wenn Ew. Majestät allergnädigst erklären: die nicht unierte Kirche der Augsburgischen
Konfessionverwandten dürfe sich frei neben die unierte evangelische hinstellen, jene solle einen Teil von
den Kirchengebäuden und Gütern, die ihr früher allein gehörten, zurückerhalten, sie dürfe Prediger ihres
Bekenntnisses haben, ihren Gottesdienst in alter Ordnung halten, ihre Parochalverhältnisse ordnen - wie
schnell würde freundlichste Ordnung und Eintracht an die Stelle der jetzt allgemein herrschenden
Zerrüttung treten."
Erst Ende 1830 wird den Lutheranern abschlägig durch den Minister von Allenstein geantwortet. Dennoch
wächst die Zahl der Lutheraner, nicht nur in Breslau, sondern im ganzen preußischen Staatsgebiet. Minister
von Allenstein ist entschlossen den friedlichen Widerstand zu brechen und die Lutheraner in die
evangelische Union zu zwingen. Polizei und schließlich Militär sollten die Lutheraner in die Gemeinschaft
mit der neu entstandenen unierten Landeskirche nötigen. Zunächst wendet sich der preußische Staat
gegen die drei Pfarrer um exemplarisch zu Abschreckungszwecken gegen sie vorzugehen. Pfarrer Berger
aus Hermannsdorf wird durch eine königliche Kommission suspendiert. Der zuständige Landrat in
Polizeibegleitung setzt die Suspendierung durch, indem gefordert wird die Kirche zu öffnen, um die neue
Agende auf den Altar zu legen. Pfarrer Berger wird unter Polizeibewachung gestellt und schließlich in
Breslau inhaftiert. Pfarrer Kellner aus Hönigern ereilt ein ähnliches Schicksal. Pfarrer Kellner weigert sich
ebenfalls die neue Unionsagende zu verwenden, worauf er durch den Superintendenten suspendiert
wurde. Friedlich weigern er und seine Gemeinde sich das Kirchgebäude der Unionskirche zu überlassen.
Auch wenn der Landrat, die Polizei und der unierte Superintendent zunächst nichts auszurichten vermögen,
so rückt am 23. Dezember preußisches Militär an, um sich gewaltsam der Kirche zu bemächtigen. Eine
stattliche Streitmacht von 400 Infanteristen, 50 Kürasiere und 50 Husaren stehen unbewaffneten Zivilsten
gegenüber. Mit Kolbenstößen verschafft sich das Militär gewaltsam zutritt. Am ersten Weihnachtstag
übergibt der unierte Superintendent in einem Gottesdienst dem neuen unierten Pastor die Agende und das
Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche
Kirchenbezirk Berlin-Brandenburg